Josef Krammer
Ingrid Machold
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Sozialstaat und ländlicher Raum
Soziale Chancengleichheit für BewohnerInnen des ländlichen Raums

Lebensbedingungen und Lebensqualität im ländlichen Raum hängen wesentlich davon ab, wie sich die örtliche und regionale „infrastrukturelle Grundversorgung" gestaltet, welche Versorgungs- und Beratungsdienste (noch) vorhanden sind und unter welchen Bedingungen sie von der ländlichen Bevölkerung erreicht und in Anspruch genommen werden können.

Dazu gehört u.a., dass die medizinische und pflegerische Versorgung gewährleistet ist und entsprechende Einrichtungen in ausreichender Quantität und Qualität vorhanden sind (Krankenhäuser, Ambulanzen, Ärzte, Apotheken, soziale Dienste); dass Einrichtungen des täglichen Gebrauchs, in denen der aktuelle Bedarf an Gütern und Dienstleistungen, aber auch an sozialen Kontakten gedeckt werden kann, vor Ort erreichbar sind (Bäcker, Greißler, Postfiliale, Bankfiliale, usw.); und dass ein vielfältiges Angebot an Bildungs- und Ausbildungsstätten in der Region vorhanden ist. Um nur ein Beispiel zu nennen, orientieren sich Jugendliche und bildungsinteressierte Erwachsene bei der Wahl der Schule bzw. der Bildungseinrichtung in hohem Maße daran, welches Angebot in einer Region vorhanden ist. Kinderbetreuungseinrichtungen sind ein weitere Einrichtungen, die den Handlungsspielraum zumeist von Frauen in hohem Maße erhöhen können. Zur „infrastrukturellen Grundversorgung" gehört weiters, sich vor Ort über diverse Angebote ausreichend informieren zu können, d.h., dass Sprechtage der Bezirkshauptmannschaft, der Sozialversicherung, von Gerichten etc. angeboten werden.

Die Summe aller dieser „infrastrukturellen Grundversorgungen" bedingt, dass bis jetzt in Österreich der ländliche Raum ein relativ beliebter und weitgehend gleichwertiger Lebens- und Arbeitsraum für viele (auch jüngere) Menschen geblieben ist. Eine rein auf betriebswirtschaftlichen Kriterien basierende Bewertung privater und sozialstaatlicher Einrichtungen muss jedoch konsequenterweise zur Schließung von „unrentablen" Post- und Bankfilialen, Gerichtsstandorten, Sprechstunden der Sozialversicherung, usw. führen. Dabei werden

Schon seit längerem wird der Rückbau des öffentlichen Nahverkehrs immer „nachhaltiger betrieben". Insbesondere werden Regionalbahnen eingestellt, der Busverkehr auf Schulzeiten eingeschränkt, die öffentliche Erreichbarkeit abgelegener Orte zunehmend unzumutbar oder ganz unmöglich gemacht und das Image des öffentlichen Verkehrs in Misskredit gebraucht. Von diesen Einschränkungen sind junge, flexible, gesunde und im Beruf stehende Menschen mit Auto weniger betroffen, da ihr räumlicher Bewegungsradius sowohl aus beruflichen, als auch aus privaten Gründen ohnehin relativ ausgedehnt ist.

Massiv vom sozialstaatlichen Rückbau betroffen sind jedoch Menschen, deren Bewegungsradius – aus welchen Gründen auch immer – primär auf den Wohnort konzentriert ist. Sei es, weil sie zu alt oder zu jung sind, um ein Auto zu lenken, krank oder behindert sind, nicht über die nötigen Mittel verfügen, sich einen privaten PKW zu leisten, etc. oder aus zeitlichen und organisatorischen Gründen nicht in den nächsten zentralen Ort gelangen können (überwiegend Bäuerinnen, Alleinerzieherinnen, kinderreiche Familien, MigrantInnen). In ländlichen Regionen, in denen die Infrastruktur auf ein Minimum reduziert und auf die Bedürfnisse weniger mobiler Menschen nicht eingegangen wird, kommt es zur systematischen Benachteiligung dieser Bevölkerungsgruppen.

Neben dem Kostenkriterium und der finanziellen Unterstützung benachteiligter Bevölkerungsgruppen, ist daher gerade im ländlichen Raum auch das Kriterium der räumlichen Erreichbarkeit zu berücksichtigen. Welche Entfernungen müssen zurückgelegt werden, wie und mit welchem zeitlichen Aufwand können adäquate Sozial- und Serviceeinrichtungen erreicht werden? Ist dies allein mittels Individualfahrzeug (Privat PKW, Motorrad, etc.) möglich, oder können die BewohnerInnen ländlicher Regionen auf ein ausgebautes und kostengünstiges Netz an öffentlichen Verkehrsmöglichkeiten zugreifen? Nur wenn soziale Antworten auf den Bedarf nach struktureller Grundversorgung gefunden werden können, wird der ländliche Raum für die Zukunft lebendig und für die Menschen entwicklungsfähig bleiben. Damit bleibt er aber auch im Vergleich zu städtischen Zentralräumen volkswirtschaftlich effizient.

Sozialstaat für Bäuerinnen und Bauern

Staatliche Leistungen sind für Bäuerinnen und Bauern in vielerlei Hinsicht von Relevanz. Zum einen nehmen Bäuerinnen und Bauern ebenso wie die nichtbäuerlichen BewohnerInnen des ländlichen Raumes das Angebot an Sozial- und Serviceeinrichtungen in Anspruch. Darüber hinaus stellt der Infrastrukturausbau für Bergbauernbetriebe (Wegerschließung, Telefon, Elektrizität, spezielle Investitionsförderungen zur Arbeitserleichterung) wesentliche Voraussetzung für eine weiterführende Bewirtschaftung entlegener und schwer zugänglicher Flächen und die Erhaltung einer wertvollen Kulturlandschaft dar.

Zum anderen sind Ausgleichszahlungen und staatliche Förderungen im landwirtschaftlichen Bereich grundlegender Baustein des betrieblichen Einkommens. Gerade im Berggebiet ist eine ökologisch nachhaltige und regional sinnvolle Bewirtschaftung ohne Fördersystem nicht möglich. Die meisten landwirtschaftlichen Förderungen, insbesondere im Rahmen der kleinstrukturierten österreichischen Landwirtschaft, haben eine soziale Komponente. Wer eine Politik betreibt, die den sozialen Rahmen zur Auflösung freigibt, muss sich bewusst sein, dass dadurch auch der Förderungsrahmen der Landwirtschaft zur Disposition gestellt wird. Wenn etwas aber diskussionswürdig ist, so ist es nicht der Förderungsrahmen per se, sondern die soziale Ausgewogenheit und Treffsicherheit agrarischer Förderungen.

Um eine gerechte Verteilung der Förderungsmittel zu gewährleisten, müssen soziale Kriterien berücksichtigt werden. Soziale Kriterien bei der Vergabe von agrarischer Fördermittel stellen u.a.

Ein Sozialstaat hat in diesem Sinne auch Verantwortung darüber zu übernehmen, dass die KonsumentInnen mit gesunden Nahrungsmitteln versorgt werden und in den landwirtschaftlichen Betrieben ökologisch sinnvoll und nachhaltig gewirtschaftet wird, d.h. Umwelt und Lebensgrundlagen nicht gefährdet oder gar geschädigt werden und diese für die zukünftige Generation erhalten bleiben.

Forderungen:

Angestrebtes Ziel eines Sozialstaates muss es sein, eine optimale Versorgung mit Sozial- und Serviceeinrichtungen anzustreben und Chancengleichheit für sämtliche Bevölkerungsgruppen in möglichst allen Bereichen zu gewährleisten. Chancengleichheit bezieht sich im ländlichen Raum neben sozialen Zugangskriterien (Kosten, Stigmatisierung, u.a.) besonders auch auf das Kriterium der räumlichen Erreichbarkeit.

Im Hinblick auf die Bevölkerung des ländlichen Raums stellen sich dementsprechend folgende Forderungen als zentral heraus:

Chancengleichheit beim Zugang
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