Kärntner Netzwerk gegen Armut und soziale Ausgrenzung
DI Elisabeth Schwendner
Arbeitskreis Ländlicher Raum Aktuelles / Termine
Armut im ländlichen Raum

Die Armut im ländlichen Raum hat strukturelle, nicht individuelle Ursachen. Sie ist – abgesehen von der in Stadt und Land gegebenen Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich – in ihren spezifischen Formen und Ausmaßen Ausfluß des Funktionsverlusts des ländlichen Raums. Eine Erfassung der spezifischen Merkmale von Armut im Ländlichen Raum ist nicht gegeben. Dieser Mangel an Daten erschwert Gegenstrategien. Immobilität, Langzeitarbeitslosigkeit, zu wenig leistbare Mietwohnungen, unzureichende Berufsausbildung und Altersversorgung, kinderreichere Familien, alleinerziehende Frauen (Männer), fehlende Pensionsvorsorge der Bäuerinnen und vieles mehr sind nur einige Ursachen, die für die Armut im ländlichen Raum spezifisch sind. Die Angst vor Stigmatisierung ist massiver als in der Stadt und führt zur versteckten, verschämten Armut.

1. Die ländliche Armut hat strukturelle Ursachen.

Die Armut im ländlichen Raum hängt eng mit der Krise des ländlichen Raums zusammen:

Die spezifische Ausprägung der Armut im ländlichen Raum ist Ergebnis dieser Entwicklung:

Die ländliche Armut ist eine versteckte Armut:

2. Forderungen

1. Bewußtseinsbildung

Durch eine gezielte Information soll in der breiten Bevölkerung das Bewußtsein geschaffen werden, daß Armut kein individuelles Verschulden ist, sondern mit vielen Faktoren wie dem Wirtschaftssystem zusammenhängt. Bereits in den Schulen soll (beispielsweise im Rahmen des partzipatorischen Projektunterrichtes) der kommunikativen Armut und den daraus entstehenden Vorurteilen entgegengetreten werden. Statt von Armut Betroffene auszugrenzen, sollen diese in die dörfliche Gemeinschaft einbezogen werden. Durch eine Verbesserung der Akzeptanz der Armut mit ihren Ursachen wird ein Wiedereinstieg in das Arbeitsleben, in die kulturellen und sozialen Beziehungen usw. erheblich erleichtert.

2. Regelmäßiger Armutsbericht durch das Amt der Kärntner Landesregierung:

Dieser soll die spezifischen Armutssituationen erfassen und beschreiben (Armut im ländlichen Raum, weibliche Armut, usw.) um gezielte Gegenmaßnahmen zu ermöglichen.

Die Armutsbegrifflichkeiten wie Armutsbemessung, Armutsrisikofaktoren, Armutsgrenzen müssen definiert, deren Strukturen aufgezeigt werden. Indikatoren, die die besonderen Umstände ländlicher Armut erfassen, sollen darin speziell berücksichtigt werden (Verfügbarkeit der Verkehrsmittel, Entfernung zu Versorgungseinrichtungen usw.).

3. Initiativen zur Armutsbekämpfung im Rahmen der Orts- und Regionalentwicklung

Bei der Dorfentwicklung soll die Schaffung einer tragfähigen wirtschaftlichen Basis, die für die Menschen Arbeit und Einkommen schafft, eine wichtigere Rolle erhalten. Ein erster Schritt wäre eine Bewußtseinsbildung, u.a.bei den an der ORE beteiligten Menschen, um eine Sensibilisierung zu schaffen und Strategien zur Armutsbekämpfung zu entwickeln. Diese Ergebnisse sollen dann in die Vor-Ort-Arbeit der Orts- und Regionalentwicklung einfließen.

4. Förderung von Eigeninitiative und Nachbarschaftshilfe

Nachbarschaftshilfe und Eigenarbeit stellt speziell im ländlichen Raum eine traditionelle Möglichkeit dar, wie essentielle Lebensbedürfnisse (wie Wohnen, Verkehr, Energieversorgung, Lebensmittelverarbeitung, Reparaturen usw.), die aufgrund der hohen Kosten nicht anders leistbar wären, befriedigt werden können. Mitfahrgemeinschaften, das gemeinsame Kulturleben usw. sind ein wesentlicher Teil des Zusammenlebens, mit dem Ziel, Identität zu stiften. Vielfach wird ein Abgleiten in die Armut nur durch die Existenz dieses informellen Sektors verhindert. Der informelle Sektor hat für die Versorgung im ländlichen Raum eine enorme Bedeutung. Die kooperative Zusammenarbeit (beispielsweise Maschinenring und Talentetausch) sollten in diesem Sinne unterstützt werden. ExpertInnen des Landes und der AMS sollten diesen Tatsachen dadurch Rechnung tragen, daß speziell experimentellen Formen von Arbeits- und Versorgungsprojekten im ländlichen Raum finanzielle und organisatorische Unterstützung gewährt wird.

5. Erwerbsmöglichkeiten vor Ort schaffen

Der Erwerbsarbeitsmarkt ermöglicht Unabhängigkeit, Status und Zugang zur gesellschaftlichen Integration durch monetäres Einkommen. Um neue Arbeitsplätze zu schaffen, sollen die Neugründung von Betrieben und die Erweiterung von bestehenden Betrieben kommunal gefördert werden. Ein besonderes Augenmerk soll dabei auf Betriebe gelegt werden, die die Wertschöpfung bei der Nutzung regionaler Ressourcen erhöhen und in der Region verankert sind. Das Land und die Gemeinden sollen im Rahmen des von der EU vorgegebenen Handlungsspielsraums versuchen, im Rahmen ihres Beschaffungswesens vor allem die regionalen Betriebe zu stärken.

Eine wichtige Rolle kommt der Nutzung erneuerbarer Energien, insbesondere der Biomasse zu, durch die viele neue Arbeitsplätze vor Ort geschaffen werden können. Diese Entwicklung sollte durch Investitionsförderungen von Biomasse-Nahwärmenetzen, durch entsprechende Einspeisetarife für Ökostrom und andere Maßnahmen angekurbelt werden. Eine besondere Bedeutung kommt auch der Erhaltung der bäuerlichen Arbeitsplätze durch die Stärkung der landwirtschaftlichen Betriebe zu: Durch Kooperationen, den Aufbau von neuen Vermarktungsschienen und neue Tätigkeitsbereiche sollen die bäuerlichen Einkommen angehoben werden.

Der Schritt in die Selbständigkeit soll erleichtert werden, um Eigeninitiativen zu fördern.

6. Infrastruktur erhalten

Wir fordern vom Land Kärnten, die Tendenz zur Ausdünnung öffentlicher Einrichtungen im peripheren Raum zu stoppen. Öffentliche Einrichtungen wie Kindergärten, Tagesmütter und andere Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen, Postämter, Banken, Gesundheitseinrichtungen, Bildungs- und kulturelle Institutionen sollen aufrechterhalten oder ausgebaut werden, um deren Erreichbarkeit und Zugänglichkeit für armutsgefährdete Menschen zu sichern. In Landgemeinden sollen verstärkt Erwachsenenbildungsmaßnahmen angeboten werden, um die Weiterbildung aber auch den Kontakt der Menschen untereinander zu fördern.

Modelle der dezentralen Betreuung alter Menschen im ländlichen Raum sind zu entwickeln und zu finanzieren. Bestehende Einrichtungen sind mit Zusatzangeboten auszustatten (zB. Gemeindestuben mit Kopier- und Faxmöglichkeit, Internetanschluß usw).

7. Aufrechterhaltung und Ausbau der öffentlichen Verkehrs in ländlichen Regionen

Besondere Bedeutung kommt dem öffentlichen Verkehr zu. Busse, die nur während der Schulzeit oder während der Wochentage verkehren sind für viele (meist ältere und arme) Menschen ein reales Hindernis zur Beteiligung am gesellschaftlichen Leben. Das bestehende (lückenhafte) Verkehrssystem soll durch flexible Zubringer- und Verteilerbusse (Sammeltaxis, Gemeinschaftsautos, private Transportdienste) ergänzt werden.

8. Aufrechterhaltung der Nahversorgung

Das Weiterbestehen von Nahversorgern im ländlichen Raum soll gesichert werden durch: Unterstützung von Nahversorgern durch Kommunen, durch die Förderung von Betriebsübernahmen und die Verpflichtung für Großketten im Lebensmittelhandel, auch kleinere Geschäfte im ländlichen Raum weiterzubetreiben. Wo es keine Nahversorger mehr gibt, sollen regelmäßige Zustelldienste für eine flächendeckende Grundversorgung sorgen. Gemeinden gelingt es in unterschiedlichem Maße Eigeninitiativen zu entwickeln und kleine Kreisläufe in Bewegung zu setzen. Die Dynamik kommt meist nicht durch Hilfe von außen, sondern durch die Bereitschaft, sich für das Gemeinwohl einzusetzen.

Das Leader II-Projekt "Nahversorgung ist Lebensqualität", das sich bereits in sechs österreichischen Bundesländern bewährt, sollte auch in Kärnten zur Umsetzung kommen.

9. Schaffung günstiger Mietwohnungen im ländlichen Raum

Ein entsprechendes Angebot an leistbaren Mietwohnungen im ländlichen Raum soll durch die Herabsetzung von überhöhten Mieten und Betriebskosten in Genossenschaftswohnungen, durch den Neubau von Wohnungen und durch die Adaptierung bestehender, ungenutzter Gebäude (leerstehende Bauernhöfe u.a.) geschaffen werden. Hohe finanzielle Belastungen beispielsweise durch Kanal- und Gemeindeswasserleitungsanschluß sollen vermieden oder sozial abgefedert werden.

10. Frauen

Um Frauen auch im ländlichen Raum den (Wieder-) Einstieg ins Berufsleben zu ermöglichen, sind qualifizierte Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitsplätze (Telearbeit) vor Ort zu schaffen. Kinderbetreuungseinrichtungen mit flexiblen Öffnungszeiten sollen auch für den ländlichen Raum eine Selbstverständlichkeit sein. Eine Grundpension sollen auch jene Frauen erhalten, die derzeit aufgrund zu geringer eigener Versicherungszeiten keinen eigenen Pensionsanspruch haben, wie es beispielsweise auf die meisten im Familienbetrieb mitarbeitenden Landwirtinnen zutrifft.

11. Soziale Betreuung und Hilfestellung in Krisenfällen

Ausbildung von SozialexpertInnen, die in Landgemeinden Menschen bei Beziehungs-, Erziehungs-, Arbeits- und Schuldenproblemen sowie bei seelischen Problemen beraten sollen. Die SozialexpertInnen sollen Familien und alleinstehende Personen vor Ort aufsuchen und versuchen, individuelle Hilfestellungen zu ermöglichen. Die SozialexpertInnen sollen von Armut betroffene Menschen auch dabei unterstützen, ihre Rechte wahrzunehmen (Beantragung von Sozialhilfe, Hilfestellung bei außerordentlichen Belastungen wie Kanalanschluß usw.).

12. Sektorübergreifende Förder-Programme für ländliche Gebiete

Die Förderungspolitik des Landes soll darauf ausgerichtet sein, die regionale Kreislaufwirtschaft zu fördern. Regionale Entwicklungspläne unter Berücksichtigung aller relevanter Faktoren sind zu erstellen. Mittel der Regionalförderung sollen vorwiegend in den periphär gelegenen Problemgebieten eingesetzt werden. Sektorübergreifende Programme sind zu forcieren und die Förderprogramme sollten untereinander besser abgestimmt werden. Die direkten und indirekten Effekte von Förderprogrammen sollen im Zuge von Sozialverträglichkeitsprüfungen beurteilt und im nachhinein evaluiert werden. Eine Regionalentwicklungs- und betreuungstelle sollte Zugangsmöglichkeiten für die Initiativen und Unternehmen zu den Förderstellen (KWF, Ziel 5b, Leader, Interreg, ORE, AMS, Landes- und Bundesförderungen, Kommunalkredit) vermitteln.

13. Ein gerechterer Finanzausgleich:

Derzeit erhalten bevölkerungsreiche Gemeinden höhere Pro-Kopf Ausgleichsquoten als bevölkerungsarme, obwohl der Ausbau und die Erhaltung der Infrastruktur am Land in bestimmten Bereichen ungleich kostenintensiver ist (Kanalbau). Damit die Infrastruktur am Land und eine flächendeckende Landwirtschaft aufrecht erhalten werden kann, wären die Ausgleichsquoten pro Kopf auszugleichen.

14. Netz gegen Armut und Ausgrenzung

Vernetzung ist bei der Armutsbekämpfung in zweierlei Hinsicht wichtig: Einerseits helfen persönliche Netze wie z.B. Freunde, Familie und Nachbarn den Betroffenen über schwierige Situationen hinweg. Andererseits können nur durch die Vernetzung von Initiativen, staatlichen Organisationen und Einzelpersonen die Ursachen der Armut in ihrer Komplexität wirksam entgegengewirkt werden.

Umsetzung: Ziel ist es, ein Modellprojekt zu entwickeln um den verschiedenen Armutsphänomänen im ländlichen Raum entgegen zu wirken.

Ein integrativer Ansatz ist notwendig, um die verschiedenen komplexen Probleme der ländlichen Armut zu lösen. Die Gemeinden müssen mit den relevanten Abteilungen des Landes, den Institutionen des Bundes und Privaten Hand in Hand arbeiten, um spürbare Verbesserungen zu schaffen.

Das Armutsnetzwerk schlägt daher vor, ein Modellprojekt in einer strukturschwachen Region die Umsetzung der oben genannten Forderungen konkret zu versuchen.

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