Tagung der Internationalen Alpenschutz-Kommission CIPRA
Belluno
6.-8.Oktober 1994

Verkehr in den Alpen
- mehr als nur Transit

Die Vorbereitung

Ziel der CIPRA ist es unter anderem, dass jeder Bürger über seine persönlichen Autokilometer Buch führt und sie in den nächsten Jahren halbiert. Um dazu einen Beitrag zu leisten, beschloss ich, mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Lienz zur Tagung nach Belluno zu fahren. Leider wurde schon vor Jahrzehnten die Eisenbahnverbindung zwischen Toblach, Cortina und Calalzo abmontiert. Entsprechend schwierig gestaltete es sich, eine günstige Verbindung in Lienz ausfindig zu machen.

Im Reisebüro: Belluno ist nicht im Computer, wo liegt denn das??

Auf dem Bahnhof: Belluno ist nicht im Computer (obwohl es dort einen Bahnhof gibt!), was liegt denn dort für eine größere Stadt in der Nähe??

In der Touristeninformation Lienz: Sie nehmen das Auto und fahren über ...

Schließlich konnte die Information in Toblach Auskunft über eine Busverbindung auf der fehlenden Strecke geben. Einige längere Wartezeiten waren vorprogrammiert.

Die Anfahrt

Da am Anreisetag das Wetter stabil schien und die Anschlüsse nicht sehr gut waren, nahm ich das Fahrrad in der Bahn bis Innichen mit. Dort auf der Information konnte man mir Kopien von allen Bus- und Bahnverbindungen der Region geben (wichtig für die Rückfahrt), im Unterschied zum Bahnhof. Anstelle auf Busse zu warten, radelte ich über den Kreuzbergpass (mit ein wenig Schieben) und weiter über Santo Stefano abwärts. Einen furchtbaren 4 km langen Tunnel (Radfahrer nicht vorgesehen), der offensichtlich schon für den zukünftigen Transitverkehr ausgelegt ist, musste ich auf der alten, aufgelassene Straße durch die wilde Piave-Schlucht umfahren. Mit Steinschlag und Pflanzenwuchs durch Risse im Asphalt holt sich die Natur diese Straße wieder zurück. Ich hatte den Eindruck, in einem abgelegenem Teil der südamerikani­schen Anden unterwegs zu sein. Weiter unten war ich müde und es wurden PKW- und LKW-Verkehr so stark, dass ich in Calalzo gerne das Eisenbahnangebot mit Fahrradtransport nach Belluno annahm.

Die Tagung

Donnerstag Abend

Bei der Begrüßung im Teatro Comunale hob Helmuth Moroder, Präsident von CIPRA-Italien, hervor, dass der Bau der Alemagna-Strecke durch die Provinz ein Grund gewesen sei, den Veranstaltungsort Belluno zu wählen.

Der Präsident der Handelskammer von Belluno, Gianni Guarnieri, stellte klar, dass er eine Verbindung nach Norden fordert, als Straße oder Eisenbahn. Außerdem soll sich Belluno Osteuropa nähern (Alemagna-Pustertal-Drautal?), da der Osten (Slowenien, Ungarn usw.) ein großes Entwicklungspotential für Mitteleuropa biete. Er ist offensichtlich der Ansicht, dass durch neue große Transitverbindungen die Billiglohnländer am besten ausgenutzt werden können, auch auf Kosten der Anrainer an den Transitstrecken.

Ein weiterer wichtiger Punkt der Tagung waren Möglichkeiten, den Touristenverkehr umweltfreundlicher zu gestalten: weg vom Auto, hin zu einem guten Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln. Die deutschen Bürgermeister von Berchtesgaden und Oberstdorf stellten ihre autofreien Orte vor. Aus Österreich stellten Waltraud Frosch (VCÖ) und Robert Thaler (Leiter der Abteilung Verkehr im Umweltministerium) eine Studie über autofreie Tourismusorte vor. Es wurden interessierte Gemeinden aufgerufen, sich bei den Referenten zu melden, um verkehrsberuhigte Projekte ähnlich den Schweizer Vorbildern verwirklichen zu können.

Für die Großglockner-Straße wurde ein Projekt vorgestellt, den PKW-Ausflugsverkehr weitgehend durch ein Busangebot zu ersetzen. Bereits realisiert ist in Österreich der Lungau-Tälerbus mit Integration in das öffentliche Ver­kehrsnetz, um erholsame Wanderungen ohne Belastung durch störenden Autoverkehr zu er­möglichen.

Für die vier Pässe um den Sellastock in Italien gibt es eine Konzeption, die Straßen weitge­hend für den Autoverkehr zu schließen und den Touristenverkehr durch öffentliche Ver­kehrsmittel zu bewältigen.

Freitag

In seiner Begrüßung stellte Josef Biedermann, Präsident der CIPRA-International, Zahlen zum übermäßig wachsenden Straßenverkehr dar und warnte, daß die Entwicklung in die falsche Richtung gehe, z.B. der weitere Ausbau der Alemagna-Strecke nach Norden in Richtung Cortina.

Den ersten Vortrag des Tages hielt Prof. Hermann Knoflacher von der Technischen Universität Wien über

Mobilität ohne Grenzen im Alpenraum?

Prof. Knoflacher kritisierte das Verkehrssystem der hohen Geschwindigkeiten und erklärte, das Ziel dieses Systems sei es, die fleißige Bevölkerung in den Alpen für die Interessen von internationalen Großkonzernen und Politikern außerhalb der Alpen dienstbar zu machen. Um die aktuellen Verkehrsprobleme zu bewältigen, sie aufgrund dieser Analyse eine sofortige Ände­rung in der Verkehrsplanung notwendig. Er illustrierte dies an einem Beispiel aus dem Alltags­leben: Wenn im Badezimmer der Wasserhahn tropft und die Badewanne schon vollgelaufen sei, so werde man einem Installateur kein Vertrauen schenken, der zur Bewältigung des Problems weitere größere Rohrleitungen lege und das vermehrt herein strömende Wasser dann durch das Schlafzimmer in die übrigen Wohnräume leite. Solche Techniker seien heute längst entlassen und nur noch im Straßenbau tätig...

Prof. Knoflacher machte klar, dass das Verkehrssystem nur von den Gemeinden kontrolliert werden könne, solange der Verkehr durch den Ort gehe. Auch profitieren die Orte nur vom Verkehr, der langsam ist und auch anhält. Ortsumfahrungen bringen eine Beschleunigung und Vermehrung des Verkehrs, die nächste Konsequenz ist die Autobahn. Luftschadstoffe und Energieverbrauch nehmen noch wesentlich schneller zu als die Geschwindigkeit.

In der folgenden Diskussion vertrat Prof. Knoflacher die Ansicht, dass man nicht auf Änderun­gen in den großen Strukturen (z.B. EU) warten könne; in den Gemeinden seien Änderungen möglich und notwendig, die das Gesamtsystem beeinflussen können. Der Schweizer Matthias Zimmermann (VCS) stellte das Problem des Flugverkehrs in den Alpen dar, der durch die Allgemeinheit noch subventioniert werde, da für Flugbenzin keine Steuern gezahlt werden müssen. Die Luftverschmutzung im alpenquerenden Verkehr erfolgt in besonders sensiblen Höhenlagen. Der Segelflugschlepp mit Motorflugzeugen führt dazu, dass erholungssuchende Urlaubsgäste diesen Ort sicher nicht wieder aufsuchen und auch nicht weiterempfehlen werden.

Andreas Weissen stellte die erfolgreiche Alpeninitiative dar, die es in der Schweiz mit einer Volksabstimmung erreicht hat, dass innerhalb von 10 Jahren der gesamte Transitverkehr auf die Bahn verlagert werden muss und dass keine Transitstraßen mehr ausgebaut werden. Diese Er­folge sollten im gesamten Alpenraum umgesetzt werden!

Stimmen aus der Diskussion am Abend:

Robert Thaler: Wir werden von der Automobilindustrie manipuliert. Es muss eine Bewusst­seinskampagne gestartet werden, die die sanfte Mobilität positiver darstellt als die harte. Der Gast ohne Auto muss am Urlaubsort ein höheres Ansehen genießen und Privilegien haben. Der Gepäcktransport ist wesentlich zu verbessern.

Eine Italienerin: Der Tourismus in der heutigen Form des Landschaftsverbrauchs ist eine Aus­beutung der Berge zum Erzielen von Profit.

Ein Ingenieur aus Belluno: In einem Italien, in dem FIAT das Sagen hat, fällt die Bergbevölke­rung nicht ins Gewicht.

Dino Fava, Umweltrat der Provinz Belluno: 40% beim italienischen Autobahnausbau wird durch Vergabe von Konzessionen gefördert. Dies ist bei der Eisenbahn nicht möglich und des­halb ein Bahnausbau zu teuer.

Robert Thaler: Das Problem liegt nicht beim Geld, sondern bei der politischen Entscheidung, wo das Geld hin fließen soll.

Roman Zanon, Dachverband für Natur Südtirol: Solange wir große Wirtschaftszentren bauen, werden wir über Verkehrsprobleme reden müssen.

Ein Einwohner aus Cortina: Von Toblach nach Cortina fahren Riesenlaster auf der Touristen­straße. Transit- und Touristenverkehr müssen verringert werden.

Bürgermeister Alois Fritz aus dem Kleinen Walsertal: Die Kapazitätsgröße der Straßen ist ein Lenkungsinstrument, um eine Überlastung vermeiden zu können.

Samstag

Am Samstag Vormittag ging es um die Verkehrsplanung für die Provinz Belluno. Umweltrat Dino Fava stellte fest, dass die Eröffnung der Alemagna-Autobahn bis Belluno die Probleme noch verschärfen wird. Er trat dafür ein, dass Orte ab 700m Höhe mehr Befugnisse erhalten sollten, um ihre Verkehrsangelegenheiten selbst zu regeln. Auch Verkehrsrat Guiseppe Pison räumte ein, dass es durch die Eröffnung der Autobahn mehr Verkehr geben würde. Er brachte einen Ausbau der Bahn für den LKW-Kombiverkehr nach Österreich ins Gespräch, um danach gleich festzustellen, das dies zu teuer wäre. Nereo Bortot, der Verwalter von Dolomiti Bus, forderte, Touristen sollten schon zu Hause in öffentliche Verkehrsmittel einsteigen.

Ein Vertreter von Mountain Wilderness Belluno zeigte anschließend Dias von der Alemagna-Autobahn, die sich auf riesigen Stelzen durch das Land frisst, und von der Demonstration dage­gen am 1. Mai 1993 mit starker Osttiroler Beteiligung und dem Transparent "Kein Meter Pustertal für die Alemagna". Die meisten im Saal Anwesenden hatten sich diese Brutalität des Straßenbaus nicht vorstellen können.

In der Diskussion brachte ein Vertreter des Regionalrates von Belluno die Hoffnung zum Ausdruck, dass die Provinz die Ergebnisse der Tagung umsetzt. Zugleich musste er aber die Abwesenheit vieler Politiker beklagen. Er brachte auch zur Sprache, dass heute die Export­industrie vorherrscht und es eine typische lokale Industrie nicht mehr gibt. Er setzte sich für ei­ne Dezentralisierung der Macht und mehr Befugnisse für die Gemeinden ein.

Am Nachmittag fand zum Abschluss der Tagung eine Busexkursion in den neuen Nationalpark "Dolomiti Bellunesi" statt, der mit vielen Problemen wie einem Stausee und der Asphaltierung überbreiter Straßen zu kämpfen hat.

Die Heimfahrt

Am Sonntag verlockte ein frischer, sonniger Morgen mit Neuschnee auf den Bergen zu einer längeren Radtour in Richtung Osttirol. Leider ist die bereits als Alemagna ausgeschilderte Strecke stark befahren, aber es gibt teilweise alte Straßenabschnitte ohne Verkehr. Sowohl das enge Piavetal als auch das weite Val Boite mit Blick auf zahlreiche Dolomitengipfel sind land­schaftlich sehr reizvoll. Die Steigungen sind meist nur gering. Was fehlt, ist eine für Radfahrer angenehme Gestaltung der Verkehrswege. Wäre diese vorhanden, und nach einer Wiedereröff­nung der Schmalspurbahn von Calalzo nach Cortina, so gäbe es große Entwicklungschancen für einen sanften Fahrradtourismus, ähnlich wie im Donau- und Altmühltal. Der 16-Uhr-Bus von Cortina nach Toblach wurde leicht erreicht. Dort gab es natürlich keinen Bahnanschluss, also weiter mit dem Rad nach Innichen mit längerer Wartezeit auf den Zug.

MK